Die smarte Seniorenresidenz?

Ratgeber

Ein Gespräch über die Zukunft des Wohnens

Technik kann vor Stürzen bewahren und Sorgen abnehmen: Wie altersgerechte Assistenzsysteme das Leben von Senioren erleichtern können. 

Möglichst lange gesund und selbstbestimmt zu leben – davon träumen fast alle Menschen. Dabei können innovative technische Systeme helfen, auch als Ambient Assisted Living (AAL) bekannt. Enrico Löhrke von der inHaus GmbH, einer Ausgründung des Fraunhofer Instituts, entwickelt seit 2007 technische Assistenzlösungen für Pflege-, Wohn- und Sozialimmobilien. Wie solche Assistenzsysteme das Leben in Seniorenresidenzen unterstützen können, darüber spricht er mit Dr. Johannes Rückert, Geschäftsführer der Augustinum Gruppe, die mit 23 Seniorenresidenzen in ganz Deutschland vertreten ist.

Seniorenresidenzen und smarte Assistenzsysteme, wie passt das zusammen?

Rückert: Damit stellen wir uns für die Zukunft auf. Das Thema an sich ist ja nicht neu: In jeder Wohnung unserer Augustinum Seniorenresidenzen sind schon lange standardmäßig im Badezimmer Notrufknöpfe oder -seile installiert, jedes Telefon hat eine Notruffunktion. Aber wir wollten wissen, welche neuen digitalen Assistenzkonzepte unsere Bewohnerinnen und Bewohner in ihrer Autonomie noch stärker unterstützen können und haben deshalb ein Projekt mit Herrn Löhrke angestoßen.

Löhrke: Es war spannend, gemeinsam die Anforderungen an Assistenzsysteme in Seniorenresidenzen und eine ganz eigene Lösung für die Augustinum Seniorenresidenzen zu entwickeln. Grundsätzlich wollen wir bei dem Projekt Sicherheit, Energieeffizienz und Komfort verknüpfen. Auch wenn technisch vieles machbar wäre: Die Lösungen müssen unauffällig, intuitiv und zuverlässig so funktionieren, dass auch ältere Menschen ganz selbstverständlich damit umgehen können. Man kann durchaus zwischen „Smart Home“-Technologien und Ambient Assisted Living unterscheiden. Bei Smart Home liegt der Schwerpunkt mehr auf der Automatisierung von Gebäudeprozessen. Bei Ambient Assistent Living geht es, wie der Name schon sagt, um die Assistenz für das Individuum. Sie soll persönliche Unversehrtheit sicherstellen und einen möglichst hohen Freiheitsgrad erlauben. Somit kommen beide Aspekte zum Tragen.

Wie können die Assistenzsysteme das Leben von Senioren komfortabler gestalten?

Rückert: Eine Hilfe im Alltag wäre es zum Beispiel, Heizung, Fenster oder Musik über ein Tablet oder Smartphone zu steuern, ohne dafür aufstehen zu müssen. Dies gibt einem nicht mehr so mobilen Bewohner ein Stück Selbstbestimmung zurück.

Löhrke: Solche Assistenzsysteme müssen gar nicht so kompliziert sein: Es reicht, die Fenstersensoren mit der Heizung zu koppeln. Wird das Fenster geöffnet, regelt die Heizung herunter. Uns hat selbst überrascht, dass wir dadurch 18 bis 27 Prozent Energie einsparen konnten, was natürlich von der jeweiligen Immobilie abhängt.

Wie können die Assistenzsysteme die individuelle Sicherheit in Seniorenresidenzen erhöhen?

Rückert: Uns war beim Entwurf der möglichen Anwendungsgebiete wichtig, dass das System im Alltag Gefahrenpotenziale erkennt. So wäre etwa ein Nachtlicht denkbar, das sich automatisch anschaltet, wenn ein Fuß den Boden berührt. Es kann die Wahrscheinlichkeit verringern, beim nächtlichen Toilettengang zu stolpern.

Löhrke: Wenn zum Beispiel eine Bewohnerin oder ein Bewohner einer Seniorenresidenz nachts aufsteht und zur Toilette geht, erkennt ein Sensor die Anwesenheit im Bad. Verlässt er aber das Badezimmer nicht mehr, wird nach kurzer Zeit der Nachtdienst informiert. Es könnte ja sein, dass der Bewohner gestürzt ist. Es geht also auch darum, Abweichungen von normalen Alltagsabläufen zu erkennen und Auffälligkeiten oder mögliche Gefahrensituationen schnell zu melden. Ob tatsächlich etwas passiert ist, überprüfen dann die Mitarbeiter des Augustinum.

Rückert: Oder wir können uns einen Knopf vorstellen, der Kaffeemaschine und Herd abstellt, wenn man ihn beim Verlassen der Wohnung drückt.

Löhrke: Dieser eine Knopf nimmt einem die Sorgen ab, die ewige Frage, ob man die Kaffeemaschine wirklich ausgeschaltet hat. Dabei muss die Bedienung intuitiv gestaltet sein. Die Technik muss dem Menschen entsprechen, nicht umgekehrt.

Wie können die Assistenzsysteme den Datenschutz einhalten?

Rückert: Die Privatsphäre unserer Bewohnerinnen und Bewohner ist uns sehr wichtig. So haben wir von vornherein einige technische Systeme ausgeschlossen, weil sie den europäischen Datenschutzstandards nicht gerecht werden.

Löhrke: Das System reagiert zwar zum Beispiel auf Bewegungen und erkennt Veränderungen. Was genau passiert ist, kann es aber nicht feststellen. Und das soll es auch gar nicht. Über eine Ampel informiert es Betreuungs- oder Pflegekräfte über Abweichungen vom normalen Tagesablauf oder über erkannte Gefahrensituationen. Nur so kann die Privatsphäre gewahrt werden. Das ist nur eine unserer Ideen, wie Datenschutz und Sicherheit zusammenpassen.

Viele Menschen sorgen sich, dass die Technik irgendwann Pflegekräfte ersetzt.

Löhrke: Das System ist nur ein Assistent, wie der Name schon sagt. Die Technik allein macht keinen Sinn, wenn sie nicht in Betreuung und Pflege eingebunden ist.

Rückert: Die Technik kann die Pflegekräfte in ihrer Arbeit lediglich unterstützen, auf keinen Fall ersetzen. Aber wir gewinnen durch neue Technologien Zeit: Diese können wir als gemeinnützige Einrichtung dem einzelnen Bewohner widmen und sind flexibler bei der Betreuung.

Und wo stehen Sie nun bei diesem Projekt?

Rückert: Bevor wir überhaupt die Systeme einführen können, müssen wir zuerst die technischen Voraussetzungen schaffen. Das ist bei unseren Seniorenresidenzen mit jeweils mehreren hundert Wohneinheiten alles andere als trivial. Wir investieren in den nächsten Jahren Millionen in die Ausstattung unserer Häuser mit schnellen Glasfasernetzen.